Freitag, 6.7.2001

Die Sonne hat sich komplett hinter dichten Wolken versteckt, als wir um 2 Uhr zur Bärenwache, geweckt werden. Die 2 Stunden verbringen wir damit, die Hände am Lagerfeuer zu wärmen. Immer wenn die Sonne hinter Wolken verschwindet, kommt mit großer Regelmäßigkeit der eiskalte Wind. Gegen Ende der Wache fängt es sogar leicht zu nieseln an. Wir kriechen wieder ins Zelt und schlafen noch ein paar Stunden. Es ist kalt, windig und nieselt immer noch leicht beim Aufstehen. Das Termometer zeigt 2 Grad, es fühlt sich ohne Sonne und mit viel arktischem Wind wie -10 Grad an. Nach dem Frühstück bilden sich zwei Gruppen, 5 "Fastrunners" (darunter Thomas und ich) wollen einen prachtvollen Gletscher aus der Nähe besichtigen. Die über 25 km Fußmarsch lohnen sich. Wir bringen gelungene Photos von dem Gletscher nach Hause. Eine zutrauliche Möwe versucht, Teile unsere Lunches zu erbetteln und läßt sich aus wenigen Zentimetern Entfernung furchtlos photographieren.

Gletscher in Raudfjorden

 

 

 

Den Weg kann man sich, ist man Wanderwege aus den Alpen gewöhnt, praktisch nicht vorstellen. Alle 100 m ändert sich das Gelände völlig. Alles ist vorhanden: Geröllfelder mit scharfkantigen, zersplitternden Schiefersteinen, morastiger Lehmboden, Schneefelder, Sandstrand wie in Miami Beach, reißende Wildbäche, die es mit viel Geschick zu überqueren gilt. Die Bäche können Wanderer teilweise einige Zeit für die Suche nach einer geeigneten Stelle für die Überquerung aufhalten oder gar riesige Umwege erzwingen.

 

Wir finden eine sehr frische Spur eines Eisbären. Die Pfotenabdrücke sind fast 30 cm breit, und unser Führer schließt auf einen sehr großen Bären. Zum Glück zeigen die Abdrücke vom Lager weg. Abends werden wir mit frischem Fisch verwöhnt. Eigentlich hätte uns das Schiff jetzt abholen sollen. Wir erfahren bei der täglichen Funkkontaktaufnahme, die über ein wirklich vorsintflutliches, kofferartiges Gerät durchgeführt wird, dass unser Schiff Probleme mit der Maschine hat, und uns erst am nächsten Tag holen wird. Am Abend wird diese Meldung nochmals korrigiert. Das Schiff soll einen "serious engine failure" erlitten haben, bei dem nicht klar ist, ab wann es wieder fahrbereit sein wird. Ein anderes Schiff soll uns holen und wir verbringen daher noch eine Nacht im Camp. Später erfahren wir, dass das Schiff des Sysselmanns uns holen wird. Erst jetzt wird uns richtig bewußt, dass wir uns hier Mitten in der arktischen Wildnis befinden, über 16 Schiffstunden von der Zivilisation entfernt. Der Gouverneur ordnet an, das Lager abzubrechen, solange kein Transferschiff bereit steht. Die Trekkinggruppe, die uns nachfolgen sollte, wird direkt in das 2. Camp gebracht, das wesentlich südlicher ist. Für uns heißt es, dass wir gemeinsam das umfangreiche Lager fast komplett abbauen müssen. Für die zusätzliche Mühe und die entgangene versprochene Kreuzfahrt haben unsere Führer eine tolle Nachricht bereit: "all drinks free!!!" Das Bier und den Wein, die wir nach norwegischer Sitte hätten teuer extra bezahlen müssen, können nun in Strömen fließen. Besonders Thomas und ich, die wir als typisch trinkfeste IT-Experten bisher die Strichliste deutlich angeführt haben, stoßen ein Freudengeheul aus. Mit der geplanten Abstinenz wird es also wieder nichts ...

Fortsetzung auf Seite 5