Mittwoch, 4.7.2001

Blick auf das Camp

Nach einer kurzen Nacht werden Thomas und ich um 6 Uhr für die Wachablöse bei der "Bear Watch" (manche sprechen es wie "Baywatch" aus....) geweckt. Verschlafen, aber aufmerksam beobachten wir die Umgebung und schlürfen dazu Unmengen von Schwarztee. Um 8 Uhr gibt es ein reichhaltiges Frühstück. Wir beginnen zu erahnen, dass wir in den nächsten Tagen trotz der extremen Lage des Camps wie im Schlaraffenland leben werden: Jeden Abend kochen unsere Führer ein exzellentes Menü. Wir stellen fest, dass man in der Arktis von Tag zu Tag mehr Essen zu sich nehmen kann. Offensichtlich wirkt sich die Kälte in dieser Hinsicht sehr stark aus. Das Lager ist mehr als umfangreich mit Vorräten ausgestattet, man kann sogar Bier und Wein aus dem Lager erwerben.

Für den ersten Tag ist zum Kennenlernen nur eine "kleine" Tour geplant: Wir besteigen den ca. 400 m hohen Berg neben dem Camp. Von hier hat man exzellente Sicht auf den gesamten Raudfjord.

Roman vor dem Raudfjord

Mit einem Rundgang am Fjordstrand entlang endet diese Tour. Erstmals kommt die Sonne hervor und wärmt die Landschaft enorm auf. Auch der Wind lässt nach. Wir hören, dass eine Woche vorher noch recht viel Schnee gelegen ist, dieser ist rasch geschmolzen und weicht unzähligen lila/rosa Blümchen, die geschützt sind. Am Nachmittag besichtigen wir die Raudfjord-Hütte, die mehr ein notdürftiges Dach über dem Kopf für gestrandete Trapper als eine Unterkunft ist. Beim Heimweg bringen wir noch größere Mengen Treibholz für das nächtliche Feuer bei der Bear-Watch mit. Am Strand finden sich recht große Mengen von angeschwemmtem Schrott. Plastik verrottet hier praktisch gar nicht und verunstaltet die sonst herrlich saubere Landschaft. Von Fragmenten einer Bierkiste bis zum Damenschuh ist hier alles zu finden, offensichtlich treibt die Strömung viele verlorene Dinge der Polarschifffahrt hier ans Ufer. An anderen Ufern finden wir aber keine Verschmutzung, das Phänomen tritt offenbar nur hier auf. Wie gut das arktische Klima konservierend wirkt, sieht man eindrucksvoll an diesem Grab eines Trappers, das seit 1906 ohne wesentliche Verwitterung hier steht.

Grab aus dem Jahr 1906

Sehr angenehm macht es sich bemerkbar, daß im Gegensatz zum 1000 km südlicheren skandinavischen Festland keine lästigen Mücken herumschwirren - nicht ein einziges Insekt haben wir hier gesehen! Nach einem reichhaltigen Dinner gehen wir bei Sonnenschein schlafen. Durch die Kälte wird die Abend- bzw. Morgentoilette auf ein unbedingt erforderliches Minimum reduziert (bei vier Grad kaltem Wasser und eisigem Wind ist selbst simples Händewaschen schon eine ungemütliche Angelegenheit).

Blick auf Lagerfeuer und Gemeinschaftszelt

Donnerstag, 5.7.2001

Wir werden wie immer um 8 Uhr geweckt, ein strahlender Tag steht bevor. Erstmals verschwinden fast alle Wolken, und im Laufe des Tages ist fast der gesamte Fjord wolkenfrei, was um diese Jahreszeit eher selten ist. Wir teilen uns in 2 Gruppen auf: eine "long tour" sowie eine kleine Wanderung. Die große Tour führt über mehrere höhere Berge nach Osten bis zur Küste, und diese verlockt Thomas und mich am meisten.

Beim Aufstieg über ein großes Schneefeld sehen wir 4 "Reindeers". Die Rentiere haben sich in Spitzbergen - wie wir vom Führer erfahren - sehr stark vermehrt und sind so zahlreich, dass sie bereits teilweise Nahrungsprobleme bekommen und die dürftige Vegetation zu stark dezimieren. Deshalb sind in jeder Saison etwa 400 Rentiere zum Abschuß freigegeben (die Erlaubnis dazu erteilt ebenfalls der Gouverneur, der Sysselmann). Abgeworfene Geweihe findet man hier recht häufig.

Rentiergeweihe

Blick nach Osten

Insgesamt besteigen wir 4 Gipfel zwischen 400 und 500 m, von denen man eine fabelhafte Aussicht in alle Richtungen hat. Nach Osten ist am Horizont ein breiter weißer Streifen am Meer sichtbar. Wir haben vermutlich die Packeisgrenze vor uns, oder zumindest dichtes Drift-Eis. Etwa 100 km östlich von Raudfjorden begräbt das kalte Arktiswasser (-1 bis +1 Grad) die letzten Ausläufer des Golfstroms unter sich. Die Insel Nordaustlandet im Nordosten Svalbards ist meist auch im Sommer von Eis eingeschlossen, obwohl sie auf der selben Höhe liegt wie die eisfreie See im Nordwesten.

Der auf unserer Karte verschwindend klein eingezeichnete See, an dem wir zurückwandern, entpuppt sich als mindestens 5 km lang und ist fast völlig mit Eis bedeckt. Nach einen ausgiebigen Dinner legen wir uns kurz schlafen.

 

Fortsetzung auf Seite 4