Als die Sonne nicht mehr unterging ...

Ein Reisebericht von einer fantastischen Trekkingtour durch Nord-Spitzbergen

Sonntag, 1. 7. 2001

Das Aufstehen in Wien fällt nicht schwer, zu gespannt sind wir auf die bevorstehende Reise in den hohen Norden. Wir checken nach Copenhagen ein und wenden uns der Business-Lounge zu, wo wir uns noch ein paar Drinks genehmigen. Der Linienflug mit SAS ist ausnahmsweise pünktlich, was uns die volle Wartezeit von 2 Stunden beschert, um die nächste Etappe nach Oslo nehmen zu können.

Karl Johans Gate, Oslo

In Oslo haben wir 9 Stunden Zeit, also brechen wir gleich Richtung City auf. Die Preise für die Bahntickets sind enorm hoch: 260 Kronen, also ca. 35 Euro für 20 Minuten Fahrt hin und retour sind nicht schlecht. In der City begrüsst uns ein kurzer, aber intensiver Regenschauer, den wir strategisch in einem Lokal in der renommierten Karl Johans Gate abwarten. In blendendem Sonnenschein besichtigen wir den Königspalast, vor dem die strengen Wachen mit eiserner Miene hin- und hermarschieren. Im Frogner-Park nehmen wir prophylaktisch noch ein Sonnenbad. Heute noch in die Arktis zu kommen, erscheint bei fast 30 Grad unvorstellbar. Als ein Gewitter droht, flüchten wir wieder in ein Cafe am Hafen. Beim Bestellen des Bieres werden wir skeptisch gefragt, ob wir heute auch sicher nicht mehr fahren werden. Wir meinen, ja, aber mit dem Flugzeug darf man sogar im strengen Skandinavien "alkoholisiert" fahren (und ein Bier zählt in Österreich ja nicht einmal wirklich als Alkohol....).

Thomas und Roman

Wir stellen uns kurz vor: mein Begleiter für die nächsten 2 Wochen ist Thomas Tik, 37, erfahrener Ski- und Hochgebirgstourengeher. Ich bin Roman Rehm, 32, nicht so erfahren, habe mir aber durch viel Squash und regelmäßiges Trainieren ebenfalls eine gute Kondition angeeignet.

Tromso um Mitternacht

Im Flugzeug nach Tromsö wird nur noch Norwegisch gesprochen. Diese Stadt ist schon jenseits des Polarkreises auf ca. 70 Grad Breite an der norwegischen Küste. Wir kommen um Mitternacht an und bestaunen die von der sanften gelblich wirkenden "midnight sun" beleuchtete friedlich schlafende Stadt. Die Sonne wird für uns 14 Tage lang nicht untergehen. Nach kurzem Aufenthalt geht es weiter nach Svalbard, dem Inselkomplex, der uns unter dem Namen Spitsbergen (so schreiben es die Norweger) bekannt ist. Spitzbergen selbst ist eigentlich nur die Hauptinsel des aus ca. 8 grossen und zahlreichen kleinen Inseln bestehenden Komplexes Svalbard, der sich von 76 bis 80 Grad nödliche Breite erstreckt. Zur Erinnerung: 90 Grad ist der Nordpol. Der Polarkreis, ab dem das Phänomen von Polarnacht (bzw. -tag) auftritt, liegt bei 66,5° Grad Breite, Wien ist auf 48° Grad zu finden. Spitzbergen ist somit fast 1000 Kilometer nördlicher als der nördlichste Punkt des europäischen Festlandes, des "Nordkapp" und liegt etwa auf halber Strecke zwischen diesem und dem geographischen Nordpol.

Blick auf den südlichsten Punkt Spitzbergens

Der Flug geht über eine extrem dichte, niedrige Wolkendecke, die typisch für die sommerliche Arktis ist. Der Flug von Tromsö ist ein Linienflug, der ca. 10mal wöchentlich von SAS und Braathens geflogen wird, die Flugzeit ist etwa 1 Stunde 35 Minuten. Auf halber Strecke lichten sich die Wolken etwas und die erste Insel, die Bjørnøya, zu deutsch Bäreninsel, wird sichtbar. Danach schliessen sich die Wolken wieder zu einem undurchdringlichen Teppich. Als sie sich wieder lichtet, sehen wir erstmals Spitzbergen. Das Flugzeug geht in den Sinkflug über, und wir haben einen herrlichen Blick auf das Südkap und seine Gletscher. Östlich des Kaps ist sogar noch Packeis zu sehen sowie einiges Treibeis.

Durch den Golfstrom ist das Klima Svalbards selbst für die nördliche Lage sehr mild. Im Sommer liegen die Temperaturen fast immer über Null Grad (Mittelwert +6 Grad), im Winter ist der kälteste Monat, März, mit einem Mittelwert von -14 Grad auch noch erträglich. In der Antarktis sind 80 Grad Breite mitten auf dem Kontinent gelegen, und die Temperaturen liegen ganzjährig zwischen -20 und -50 Grad. Weil der Golfstrom an die Westküste warmes Wasser (relativ gesehen, die Temperatur liegt natürlich auch nie höher als bei ca. 2-4 Grad) transportiert, ist diese meist schon im Frühling eisfrei. Der Osten Svalbards ist wesentlich kälter und das Meer dort oft sogar ganzjährig von Packeis bedeckt. Eine Umrundung Spitzbergens ist oft nur gegen Ende des Sommers mit etwas Glück möglich, in manchen Sommern ist die Hinlopen-Strasse zwischen Spitzbergen und Nordaustlandet, der nordöstlich gelegenen, fast komplett vergletscherten zweitgrössten Insel, überhaupt nicht befahrbar.

Anflug auf Longyearbyen

Longyearbyen (gesprochen: .... bü:n ) ist im Sommer meist von dichten Wolken verhüllt. Das Flugzeug taucht jetzt in die dichte Wolkendecke ein, um die Hauptstadt Spitzbergens anzufliegen. Wir landen auf einer modernen Piste und sehen einen kleinen, aber sehr gepflegten Airport vor uns liegen. Man spaziert zu Fuß vom Flugzeug zur Halle. Auf ca. 300 m2 sind Ankunft, Abflug, Gepäckausgabe und ein Kiosk zu finden. Das Gepäck kommt zuverlässig (nach 3 x umsteigen waren wir uns nicht so ganz sicher!) und wir werden vom Veranstalter mit einem modernen Reisebus abgeholt. Unterwegs sehen wir die MS Brand, mit der wir morgen fahren werden, sowie das Kohlekraftwerk, aus dem Longyearbyen seine Energie bezieht (50.000 Tonnen Kohle werden pro Jahr verbraucht, denn es wird auch mit Strom geheizt - und zwar nicht wenig). Longyearbyen verblüfft uns sehr, haben wir uns doch inmitten der hocharktischen Natur nur eine kleine sturmgepeitschte Siedlung erwartet. Longyearbyen stellt man sich am besten wie ein hochmodernes, buntes Dorf im Herbst vor - alle Infrastruktur ist vorhanden. Einzig Pools vor den Häusern und Blumen und Bäume fehlen. Wir werden gleich ins Hotel gebracht, das allerfeinsten Komfort bietet. Vom exzellenten uns reichen Frühstücksbuffet, über eine große Sauna bis hin zu Zimmern, wie man sie in einem ausgezeichneten Hotel in Mitteleuropa erwartet, ist alles vorhanden. Wir schließen die Vorhänge gut, um die Nacht zu simulieren, denn um 2 Uhr 30 ist es wie immer taghell.

Typische Bewölkung in Longyearbyen

Um 8 Uhr schrillt der Wecker, wir frühstücken vom reichen Buffet, und genießen die Aussicht auf den Adventfjord. Wir erhalten eine kurze Einführung in die Tour, die uns erwartet: Wir werden mit dem Schiff, der MS Brand, etwa 200 km zum nordöstlichsten Teil Spitzbergens gebracht und in Raudfjorden 3 Tage beim nördlichsten Camp der Welt verbringen. Wanderungen zu den umliegenden Gletschern werden uns die Zeit vertreiben, bis uns das Schiff wieder abholt und uns zum Blomstrand bei Ny-Alesund bringen wird. Dort werden wir ebenfalls Touren machen und die Nächte im Zelt verbringen, bis uns das Schiff wieder nach Longyearbyen zurückbringt.

Anschließend gehen wir zu einer kurzen Stadtbesichtigung. Meine vergessene Zahnbürste ist kein Malheur. In einem wohlsortierten Supermarkt gibt es auf ca. 500 m2 alles vom Apfel bis zum Staubsauger. Sogar elektronische Geräte kann man hier Dank Zollpreiszone erschwinglich erwerben. Generell gilt für Longyearbyen: Was gesund ist, ist teuer - also Obst, Gemüse, etc. Alkohol ist wesentlich billiger als sonst in Skandinavien, dennoch wacht hier der Sysselmann (das ist der Gouverneur von Spitzbergen, der hier Chef von Polizei, Feuerwehr, Rettung, Regierung und Verwaltung in einer Person ist) strengstens über die Einhaltung der Limits. Alkoholisiertes Snowscooter-Fahren wird im Winter streng bestraft. Überhaupt sieht man diese oft herumstehen: Aufgebockt und mit Planen zugedeckt warten die Gefährte den kurzen Sommer ab. Die Hauptsaison der Snow-Mobiles ist Februar bis Mai, also vom Wiedererscheinen der Sonne bis zur Schneeschmelze. Prächtige Bilder vom verschneiten Longyearbyen gibt es überall. Es fällt aber sehr wenig Schnee (Spitzbergen ist eine arktische Wüste mit max. 200 mm Jahresniederschlag), durch den Wind gibt es aber bis zu 5 m hohe Schneeverwehungen.

MS Brand in Barentsburg

Um 12.30 Uhr gehen wir zum Schiff hinüber, vorbei an der Universität, auf der 20 - 30 Studenten arktische Geologie, Biologie etc. studieren können. Die Universität sucht derzeit sogar Studenten, es lohnt sich, sich darum zu bewerben. Longyearbyen bietet wirklich allen Komfort und eine grandiose Umgebung, und wenn ich noch Student wäre, würde ich dieses Angebot sofort annehmen. Am Schiff gibt es eine ausführliche Unterweisung. Wie überall in Spitzbergen trägt man in geschlossenen Räumen keine Schuhe, das gilt auch für Schiffe. Die Abfahrt ist vorerst noch recht unspektakulär, beeindruckend ist die Größe des Isfjorden, der mit fast 40 km Breite wie offenes Meer wirkt. Wir werden auf der langen Reise noch deutlich sehen, wie groß dieser Inselkomplex eigentlich ist, Spitzbergen ist mit 65.000 km² fast so groß wie Bayern. Zu den nördlichsten Punkten unserer Reise ist man mit dem Schiff fast 20 Stunden unterwegs. Vorbei an Kohlenmaterialseilbahnen - größtenteils aufgelassen - geht es in Richtung Barentsburg. Diese russische Siedlung werden wir nach einem sehr guten Mittagessen besuchen. Das Schiff MS Brand hat für 60 Personen Platz. Wir sind in einfachen Kabinen einquartiert. Da nachts teils gleissender Sonnenschein sein kann, empfiehlt sich durchaus eine Innenkabine, die meiste Zeit verbringt man ohnehin an Deck. Nach ca. 40 km Fahrt kommen wir in Barentsburg an, und der Sonne gelingt erstmals ein kurzer Durchbruch. Wir gehen für 3 Stunden von Bord. Eine russische Führerin verrät uns mehr über die im Vergleich zu Longyearbyen trostlos aussehende, russisch-schmutzig wirkende Siedlung. Überall Kohlenstaub, der von den vorbeifahrenden, uralten Lastwagen aufgewirbelt wird. Wir kommen zu einer Art Farm: Während in Longyearbyen alles einflogen wird, existiert hier keine regelmäßige Flugverbindung. Diese Siedlung ist im Sommer per Schiff, im Winter nur von Longyearbyen aus per Hubschrauber oder Snowmobile zu erreichen. Deshalb gibt es hier eine eigene Schweine- und Rinderhaltung. Es gibt nicht allzuviel zu bestaunen, also gehen wir ins Hotel auf einen Drink. Wodka ist wie erwartet sehr billig. Um 10 Kronen (1,2 Euro) erhält man 0,05l !! Auch in Barentsburg erinnert kaum etwas an den hohen Norden, sieht es hier doch aus wie in einer typischen russischen Kleinstadt: Baracken aus Ziegelsteinen, ein großer Fußballplatz, der so schwarz ist, dass er wohl direkt auf Kohle angelegt wurde, und ein großes Sportcenter nach typisch sowjetischer Manier. Dass hier Hochsommer herrscht, erkennt man an Mädchen, die im kurzen Rock unterwegs sind. Auch Männer im T-Shirt sind keine Seltenheit, obwohl es immerhin nur 5 Grad hat.

Prins Karls Forland

Wir verlassen die Stadt wieder und bewegen uns Richtung Norden. Während des Abendessens, dass wie alle Mahlzeiten auf dem Schiff als Buffet gereicht wird und besonders für Fischfreunde eine Freude ist, kommen wir auf die offene Arktis, die uns mit recht erheblichem Wellengang begrüßt. In Jahren mit sehr viel Eis, das sich dann teils erst Ende Juli verflüchtigt, ist die See allgemein ruhiger. In diesem Winter hat es aber sehr wenig Eis gegeben (wir hören, dass die See bis über den 82. Breitengrad hinaus eisfrei ist, was extrem selten vorkommt), daher werden die angebotenen Pillen gegen Seekrankheit schon bald reichlich konsumiert. Ich habe das Glück, dagegen immun zu sein, und verbringe die Zeit meist an Deck und bestaune die arktische Landschaft. Nach einem guten Dinner bleibt genug Gelegenheit, die ersten prachtvollen Gletscher zu beobachten. Wir fahren zwischen Prins Karls Forland und der Hauptinsel nordwärts. Die Sonne ist von dichten Wolken verdeckt. Erst um etwa 23 Uhr ist am Horizont strahlender Sonnenschein zu erkennen, auf den wir direkt zusteuern. Die Gletscher von Prins Karls Forland sind in gleißendes Sonnenlicht getaucht, während wir etwa 5 km entfernt im Schatten vorbeigleiten. Ganz langsam steuert der Kapitän das Schiff durch gefährliche Untiefen, deren Vorhandensein man in der breiten Bucht und im kühl blauen arktischen Wasser kaum erahnt. Kurz ist das Schiff selbst in gleißende Sonne getaucht, just genau um Mitternacht. Die Sonne steht nicht genau im Norden, das wird erst um 1 Uhr der Fall sein, denn wir haben schließlich Sommerzeit. Die Uhr kann hier als recht genauer Kompaß verwendet werden:

N 1.00

NO 4.00

O 7.00

SO 10.00

S 13.00

SW 16.00

W 19.00

NW 22.00

Da sich wieder alles in Wolken hüllt, lege ich mich in die Koje schlafen. Ich habe mir immer schon gewünscht, die Arktis kennen zu lernen und kann das Glück kaum fassen, tatsächlich hier zu sein und diese grandiose Natur zu bestaunen.

 

Fortsetzung auf Seite 2